Nachdem Wolfgang Schleich sein Werk vollendet hatte, sah er, dass es gut war. Er ging ein paar Schritte hinab in die größte und tiefste der acht Gruben, die er kaskadenartig am Waldrand über dem Dorf Ober-Seemen gebaggert hatte. Sechs Wochen lang.
„Da unten, die graue Schicht, das ist Basalt. Da beginnt das Grundwasser“, erklärt er am Fuß der Grube, einen selbstgeschnitzten Wanderstock in der Hand. „Das Rohr da drüben, das ist der Ablauf des Teichs. Und wenn mal mehr Wasser kommt, gibt’s einen Notüberlauf – da oben!“ Noch ein Stückchen weiter oben, an der höchsten Grubenkante, thront ein kleiner Felsblock. „Ein Wächterstein“, sagt Schleich. „Der muss aufpassen, dass hier nichts passiert.“
Alles gut also. Aber staubtrocken, der Tümpel. Es ist Ende April, die Sonne sengt, drei Monate hat es hier, am Südwesthang des Vogelbergs, kaum geregnet. Seit Beginn der Aufzeichnungen 1931 war es zu dieser Jahreszeit noch nie so trocken in Deutschland, meldet der Deutsche Wetterdienst. Auch der Gottesbach, der Schleichs Tümpel mit Wasser füllen soll, ist versiegt.
„Mit meinen Maßnahmen versuche ich, das Wasser länger in der Fläche zu halten“
Die Dürre ist für Wolfgang Schleich ein weiterer Beleg dafür, dass es genau das Richtige ist, was er tut: Er setzt sich an die Steuerknüppel seines Baggers und gräbt Teiche in seine Heimat, den Vogelsberg, eine vulkanische Erhebung zwischen Fulda und Frankfurt am Main. Seit mehr als zwanzig Jahren schon. „Vielleicht so 120 Anlagen“, schätzt Schleich, habe er erschaffen. Jede „Anlage“ zählt zwischen fünf und mehr als hundert Einzelgewässer.

„Mit meinen Maßnahmen versuche ich, das Wasser länger in der Fläche zu halten“, sagt Schleich, studierter Bauingenieur und Inhaber einer Tiefbaufirma, die inzwischen nur noch einen Mitarbeiter hat – ihn. Schleich ist 67. Silbergrauer Vollbart, ein paar Lachfalten, ein paar Löcher in der dunkelgrauen Weste. Früher hat er auch Kanalrohre und Wasserleitungen verlegt. Seit fünf Jahren baggert er nur noch Teiche.
Mit ihnen will er den Vogelsberg für eine Klimawandelzukunft wappnen, in der die Wetterextreme zunehmen: lange niederschlagslose Phasen wie jetzt, einerseits. Immer mehr Starkregen andererseits. Die Tümpel lindern die Dürre und die Flut. Sind Mikroklimaanlagen, die ihre unmittelbare Umgebung kühlen. Biotope für Insekten, Frösche, Schwarzstörche. „Multifunktional“, sagt Schleich, seien seine Gewässer.
Dafür baggert er wie ein Besessener: „Ich hab seit längerer Zeit den 15-Stunden-Tag eingeführt.“ Bei Weitem nicht alle Stunden bekommt er von den Unteren Naturschutzbehörden bezahlt, bei denen er die Aufträge für seine Renaturierungsarbeiten einholt. Auf etwa 20.000 Euro pro Jahr beziffert er seinen Verlust in den letzten Jahren. Betriebswirtschaft? Gibt Wichtigeres im Leben. Dienst nach Vorschrift? Nicht seins.
Ehe Schleich ein Projekt beginnt, setzt er sich in die Natur, lässt die Landschaft auf sich wirken, zeichnet mit Buntstiften ein „Wimmelbild“: einen farbenfrohen, detailverliebten DIN-A4-Bauplan für die Rückkehr des Wassers.
Was ihn antreibt? „Ich hab ein Herz für die Natur“, antwortet Schleich. Das ist nicht einfach so dahergesagt. Man merkt es, wenn er über seine – was für ein unangemessen blutleeres Wort! – „Maßnahmen“ spricht und wie Tiere und Pflanzen davon profitieren. Wenn man ihn durch seine Wimmelbilder blättern sieht, ein Kunstwerk jedes für sich.

Und man sieht es aus der Vogelperspektive. Viele seiner Teiche sind in Herzform gestaltet. Auch der große, staubige Tümpel am Gottesbach: vom Himmel aus gesehen ein Herz.

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