Der Sound des Anthropozäns

Mit Geduld und hochsensiblen Mikrofonen entdecken und entschlüsseln Forschende die Klanglandschaften der Natur. Die akustische Biodiversität tut der Seele gut – und droht vielerorts zu verstummen. Zeit, die Ohren zu spitzen

Bunte Illustration zeigt eine Straße mit Autos, eine Küstenlandschaft mit Booten, Tieren, einem Menschen am Strand und Geräuschwörtern wie 'QUAAK', 'TAK TAK TAK' und 'BROOOM'. Im Hintergrund stehen Hochhäuser und ein großer Kran.
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Text
Manuel Kronenberg
Illustrationen
Rinah Lang
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Wenn Walter Tilgner etwas Schönes einfangen will, steht er mitten in der Nacht auf, packt sich warm ein, schnappt sein Equipment und geht los. Noch bevor es hell wird, möchte er im Wald sein, im Frühjahr spätestens um drei Uhr. Dort angekommen, platziert er ein Stativ auf dem Boden und befestigt darauf einen Kunstkopf, an dem seitlich anstelle der Ohren zwei Mikrofone angebracht sind.

Dann wartet Tilgner im Schutz eines Mückennetzes und hört zu, wie der Wald langsam zum Leben erwacht. Nacheinander stimmen die Vögel ihre Lieder an. Ein wahres Konzert ertönt in der Dämmerung, schwillt an, von links virtuose Melodien, von rechts hohes Zwitschern und Trillern, dazwischen kurze Rufe.

Die Mikrofone fangen den Schall aus verschiedenen Richtungen ein. Tilgner nutzt diese Technik mit dem künstlichen Kopf, um den Ton möglichst naturgetreu aufzunehmen. Später kann man dem Konzert mit Kopfhörern in Stereo lauschen. Dann komme es einem so vor, sagt er, als sei man selbst an Ort und Stelle, früh morgens am Weiher.



[audio src="https://files.atmo-magazin.de/audio/morgenkonzert.mp3" loop="true" timeline="true" data-pirsch-event="Sound Anthropozaen" image="https://cdn.prod.website-files.com/6826f413191bd3922651e49d/6936d9c118570f1356339041_der-sound-des-anthropozaens-wald.webp" imagealt="Illustration eines Waldbodens mit einem Vogel auf einem Baumstamm, einer Spinne im Netz, zwei Pilzen, einem Käfer und einer Ameise, begleitet von lautmalerischen Worten wie 'Tirili', 'trommel', 'schripp' und 'tipp', die Waldgeräusche darstellen." text="Konzert in der Morgendämmerung: Vögel zwitschern, singen und klopfen an einem Waldweiher am Bodensee.
© Aufnahme: Walter Tilgner"]

All das sind Erinnerungen. So seien seine Ausflüge früher abgelaufen, erzählt Tilgner, in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Damals begann der studierte Biologie mit seinen Aufnahmen – unter anderem im Wald auf dem Bodanrück bei Liggeringen am Bodensee. Er wollte den Menschen die Klänge der Natur näherbringen. Einige Aufnahmen veröffentlichte er bei einem Plattenlabel. Sein „Waldkonzert“ sei ein großer Erfolg gewesen, erzählt er.

Heute ist Tilgner 91 Jahre alt. Ab und zu gehe er immer noch in seinen Wald, sagt er. Aber so richtig Spaß mache es nicht mehr. Das Mückennetz könne er inzwischen zu Hause lassen, genauso die dicke Kleidung. Die Zahl der Insekten gehe weltweit und auch hier am Bodensee drastisch zurück und in der Folge auch die der Vögel. Vor allem die frisch geschlüpften seien auf Insekten als Nahrung angewiesen. In den Nistkästen, die Tilgner im Wald aufgehängt hat, finde er manchmal verhungerte Tiere, erzählt er. Immer weniger Vögel erscheinen zu ihrem Auftritt beim Morgenkonzert. „Ich habe dieses Jahr keine einzige Aufnahme gemacht. Da war einfach nichts, was mich gereizt hätte.“

Natürliche Ordnung, künstliches Chaos

In der Welt der Klänge verschiebt sich gerade etwas fundamental. Überall auf dem Planeten geht die biologische Vielfalt zurück und mit ihr die so vertrauten und geliebten Laute: der Vogelchor in der Dämmerung, das lautstarke Froschkonzert in der Nacht, das Summen einer Wiese voller Insekten. Die Melodien der Natur verstummen mehr und mehr – an Land, in den Wäldern, unter Wasser, sogar im Boden. Dabei fangen Forschende gerade erst so richtig an, Ökosysteme zu belauschen und ihr Zusammenspiel aus Klängen zu verstehen.

Jeder Ort auf dieser Welt klingt einzigartig. Im Wald rauschen die Blätter und klopfen die Spechte, am Bach plätschert das Wasser und quaken die Frösche, im Stadtpark singen die Vögel gegen den Straßenlärm an. Im Forschungsfeld der akustischen Ökologie spricht man von „Soundscapes“. Jede dieser Klanglandschaften setzt sich aus drei Arten von Geräuschen zusammen: aus Tierlauten, der sogenannten Biophonie; aus den physikalischen Klängen der Natur wie Wind und Regen, der Geophonie; und aus der Anthropophonie, den durch Menschen verursachten Geräuschen von Bau- und Verkehrslärm bis hin zu Handytönen oder Musik.

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Ungefähr zur selben Zeit, als Tilgner mit seinen Aufnahmen begann, haben sich die ersten Forschenden mit Soundscapes befasst. Mit der Zeit verbesserten sich die Technologien, Rekorder, und Speichermedien wurden kleiner. In den letzten zehn bis 15 Jahren hat die Forschung dadurch an Fahrt aufgenommen. Eine zentrale Frage: Was verraten uns die Klänge eines Ökosystems über seinen Zustand?

Jede Art hat ihre akustische Nische

In von Menschen veränderten Gebieten sind Soundscapes oft ungeordnet bis chaotisch. Teils überlagern sich Klänge, teils bleibt der akustische Raum leer. In ursprünglichen Ökosystemen dagegen – in entlegenen Teilen der Regenwälder zum Beispiel – sind die Soundscapes strukturiert. Hier konkurrieren zahlreiche Arten um den akustischen Raum. Alle brauchen eine Strategie, um im Stimmengewirr gehört zu werden. Sie suchten sich im Laufe der Evolution ihre jeweils eigene akustische Nische. Das Ergebnis: Insekten, Vögel und Säugetiere teilen sich Frequenzbereiche und Tageszeiten untereinander auf. Jede Art schallt in einer anderen Tonlage oder zu einem anderen Zeitpunkt. Ihre Stimmen überschneiden sich kaum.

Zahlreiche Tiere sind auf Geräusche angewiesen, zur Orientierung, zur Kommunikation oder zur Jagd. Spitzmaulnashörner in den Savannen südlich der Sahara zum Beispiel leben in Symbiose mit einem Singvogel, der einen Alarmruf ausstößt, sobald sich Wilderer nähern. Pottwale, die lautesten Lebewesen des Planeten, beschallen ihre Beute mit einem schnellen Klicken, um sie zu orten – mit manchmal mehr als 230 Dezibel. Ein Live-Konzert einer Rockband kommt auf etwa hundert Dezibel, wobei wir Menschen einen Anstieg um zehn Dezibel als Verdoppelung der Lautstärke wahrnehmen.

Fast genauso laut wie Pottwale – gemessen an der Körpergröße sogar deutlich lauter – sind Knallkrebse. Sie leben meist in Korallenriffen und werden gerade einmal vier Zentimeter groß. Wenn die Tiere mit ihren Scheren schnappen, entsteht eine Blase, die mit einem Knall von bis zu 210 Dezibel implodiert. Dieses Knallen nutzen die Tiere zur Kommunikation oder zur Betäubung ihrer Beute. Die Larven vieler Fische und Krebse orientieren sich an dem Knallen, um einen geeigneten Lebensraum zu finden.



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© Aufnahme: Underwater Earth/XL Catlin Seaview Survey"]

Selbst bestimmte Pflanzen können Geräusche wahrnehmen, wie aktuelle Forschungsprojekte nahelegen. Gewisse Frequenzen lassen ihre Blüten vibrieren. So können die Pflanzen das Summen nützlicher Bestäuber vernehmen und produzieren dann mehr und süßeren Nektar. „Hören“ sie dagegen Nektardiebe, sind sie weniger großzügig.

Die Natur sendet ständig akustische Botschaften, auch an uns Menschen. Wenn wir hinhören, können wir vieles über ihren Zustand erfahren. Menschliche Eingriffe und ihre Folgen, das Artensterben, die Klimakrise – all das ist hörbar.

Artenvielfalt kann man hören

Eine Kennzahl, die aufzeigt, wenn sich Ökosysteme verändern, ist die sogenannte akustische Diversität. Sie bildet ab, wie viele verschiedene Geräusche in einer Soundscape ertönen. Ist die akustische Diversität hoch, deutet das auf eine hohe Artenvielfalt hin.

Sandra Müller von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat untersucht, wie sich Landnutzung auf die akustische Diversität auswirkt. In einer groß angelegten Studie installierten Müller und ihr Team Mikrofone auf 300 Wiesen- und Waldflächen in Deutschland. Ein Jahr lang nahmen sie alle zehn Minuten eine Minute der Soundscape auf. Ein Ergebnis: Je intensiver die Waldbewirtschaftung, desto weniger Vögel leben in dem Gebiet, und die akustische Diversität nimmt ab.

Auch wenn sich invasive Arten ausbreiten, ist das oft hörbar. Die Kleine Feuerameise etwa, ursprünglich aus Südamerika, findet man heute fast weltweit – auch auf Neukaledonien im Südpazifik. Die Soundscapes dort werden eigentlich vom Zirpen der Grillen dominiert. Doch wo die Feuerameisen auftauchen, nimmt das Zirpen ab. Die Grillen werden verdrängt, vermutlich, weil die beiden Arten um Nahrung konkurrieren und die Ameisen über die Grilleneier herfallen. Mit ökoakustischen Methoden kann man das überwachen: ein Frühwarnsystem für invasive Arten.

Auch die Ozeane sind von Klängen erfüllt. Heike Vester, Verhaltensbiologin und Gründerin der Umweltorganisation Ocean Sounds, erinnert sich noch genau, wie sie das erste Mal in die Soundscape des Meeres eintauchte. Das war vor mehr als zwanzig Jahren, sie begleitete damals als Studentin in Norwegen Forschende, die mit Hydrofonen Pottwale aufnahmen.

Als sie die Kopfhörer aufsetzte, habe sie als allererstes die unendliche Weite gehört, einen großen akustischen Raum, der von Wellen- und Windgeräuschen durchzogen ist, sagtVester. Dazu die Fische und Krebse, die knurren, grunzen, klicken und klappern. „Das war, als hätte ich eine Tür in eine andere Welt geöffnet.“ Fasziniert haben sie vor allem die Laute der Wale, ihr Schnattern, Pfeifen und Klicken. Sie decken eine riesige Bandbreite ab, von den tiefen Tönen der Bartenwale, die über Tausende von Kilometern schallen, bis hin zu den hohen Frequenzen von Delfinen.

Vor zwanzig Jahren begann Vester damit, regelmäßig Aufnahmen im selben Fjord zu machen. Ab und zu habe sie ein vorbeifahrendes Boot gehört, sagt sie. Inzwischen sei der Fjord voll davon. Kreuzfahrtschiffe, Segelboote, Frachter. „Das ist ein Dauerpegel, wie wenn man an einer Autobahn wohnt.“

2007 hörte sie das erste Mal die Explosionen. Sie fuhr mit ihrem Boot hinaus und lauschte mit den Kopfhörern, als es plötzlich knallte. Seitdem höre sie diesen Lärm ständig, sagt Vester. Er komme von seismischen Messungen. Norwegen sucht bis heute im Ozean nach Öl und Gas. Dafür werden sogenannte Airguns eingesetzt, die alle acht Sekunden einen explosionsartigen Knall erzeugen. Der Meeresgrund reflektiert den Schall. So kann man auf die innere Struktur des Bodens schließen und Öl- und Gasvorkommen aufspüren.

Die Explosionen sind teils tausendmal lauter als ein Schiffsmotor. Sie töten Wale, die in der Nähe schwimmen. Selbst 2000 Kilometer entfernt werden die Meeressäuger noch von dem Lärm gestört, weil er ihre Gesänge überlagert. „Die Tiere bekommen einfach keine Ruhe“, sagt Vester. „Das sind hochentwickelte soziale Säuger wie wir auch.“ Der Lärm schade ihnen aber noch mehr als uns Menschen, weil sie viel stärker auf Akustik zur Kommunikation, zur Orientierung und zur Jagd angewiesen sind.

Eine kaum erforschte Welt der Soundscapes liegt direkt unter unseren Fü.en: im Boden. Bislang haben sich wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit befasst, obwohl die akustische Forschung vielversprechend ist: Was sich unter der Erdoberfläche abspielt, lässt sich schwer beobachten, mit Bodenmikrofonen aber hörbar machen.

Hör mal, wer da knabbert

Ein Pionier auf dem Gebiet ist der Schweizer Marcus Maeder. Die Bodengeräusche, wenn man sie einmal hört, erzeugen eine gewisse Intimität, sagt er. Man komme Lebewesen, die man für gewöhnlich kaum wahrnimmt, plötzlich nahe. Maeder verstärkt die Geräusche um den Faktor Hundert. Unentwegt höre man es dann kriechen oder krabbeln – Würmer, Ameisen, Springschwänze, Asseln und Spinnen. Dazu kommen die rhythmischen Kaugeräusche, sagt Maeder, es klickt und knackt. Am spannendsten aber seien die Kommunikationslaute.

Heuschrecken zum Beispiel kommunizieren, indem sie ihre Flügel oder Beine aneinanderreiben, um zu zirpen. Man nennt das Stridulation. Ähnlich machen das Ameisen, Käfer und Spinnen, nur dass sie viel leiser sind und verschiedene Körperteile einsetzen, etwa ihre Mundwerkzeuge. „Diese Kommunikationslaute klingen wahnsinnig seltsam, fast nicht beschreibbar“, sagt Maeder. „Manche assoziieren das mit Handytönen oder mit einer Kuh, die muht.“

Jeder Boden klingt anders. Wiesen etwa sind lebendiger als Böden im Wald oder in der Stadt. Kaum noch Leben gebe es dagegen bei intensiver Landwirtschaft, sagt Maeder. Große Maschinen und Insektizide würden die Bodentiere töten, auch Lärm kann sie vertreiben. Wie genau sich diese und andere Einflüsse wie Mikroplastik oder Antibiotika auf die Boden-Soundscapes auswirken, dazu forscht Maeder momentan. Auch die Klimakrise wirke sich akustisch aus, sagt er. „Hitze und Trockenheit machen Landschaften still.“



[audio src="https://files.atmo-magazin.de/audio/bodengeraeusche.mp3" loop="true" timeline="true" data-pirsch-event="Sound Anthropozaen" image="https://cdn.prod.website-files.com/6826f413191bd3922651e49d/6936d9c192d9d1dc3732175d_der-sound-des-anthropozaens-boden.webp" imagealt="Illustration eines grünen Grashüpfers auf Erde mit einem Wurm, einem Hundertfüßer, einer Maus und einem Käfer, die alle Laute wie Zirp, Tipp, Krpp und Krrr von sich geben." text="So klingt der Boden: Die Geräusche einer Bergwiese im Schweizer Wallis – ein vielfaches Knabbern, Wühlen und Kommunizieren – hundertfach verstärkt.
© Aufnahme: Marcus Maeder"]

Die Geräusche des Bodens könnte man sich bei der Schädlingsbekämpfung zunutze machen. Maikäferlarven etwa ernähren sich von Pflanzenwurzeln und können bei Massenvermehrung große Schäden anrichten. Beim Waldmaikäfer wurde beobachtet, dass eine Larve mehr als siebzigmal pro Stunde stridulierte. Man könnte sie also akustisch aufspüren und gezielt bekämpfen. Denkbar ist auch, dass Schädlinge auf bestimmte Geräusche reagieren. Man könne sie damit möglicherweise gezielt vertreiben, schreiben Biologen im Fachjournal „Soil Systems“. Eine Art akustischer Pestizide.

Klänge ließen sich noch für ganz andere Zwecke einsetzen, sagt Maeder, etwa um erwünschte Tiere anzulocken und Ökosysteme zu renaturieren. Dass das funktioniert, haben Studien in Korallenriffen gezeigt. Gesunde Riffe strotzen vor Klängen: Es knistert und knackt, Krebse klappern, Fische brummen. Spielt man diesen Klangteppich dort ab, wo man ein Riff restaurieren möchte, werden Fische angelockt, auf die das Ökosystem angewiesen ist. Ein Experiment ergab, dass sich die Artenvielfalt dadurch um fünfzig Prozent steigern lässt.

Lärm einfach abstellen

Klänge können eine mächtige Wirkung haben, auch auf uns Menschen. Sie triggern Erinnerungen und Emotionen so stark wie kaum ein anderer Eindruck. Es kann uns berühren, wenn wir einen Biber klagen hören oder wenn wir wahrnehmen, wie lebendig das Leben im Boden klingt. Liegt darin gar ein Schlüssel, um die Bindung von Menschen zur Natur zu stärken?

Den Klängen der Natur zu lauschen gehört immerhin zu den innigsten Wegen, mit ihr in Kontakt zu treten. Wie wichtig das für unser Leben ist, zeigen die vielen positiven Effekte auf unsere Gesundheit. Forschende des Max-Planck-Instituts fanden heraus, dass Vogelgesang bereits nach kurzer Zeit Ängste reduziert. Vögel sind zudem eine Quelle der Inspiration. Von Mozart weiß man, dass er sich einen Star gehalten hat, dessen Gesang er liebte. In seinem 17. Klavierkonzert komponierte er in einigen Takten eine Melodie des Stares nach. Manche Fachleute gehen sogar davon aus, dass alle Musik ihren Ursprung in der nichtmenschlichen Natur hat: Sie sei vor langer Zeit entstanden, weil Menschen die Rhythmen, Klänge und Melodien natürlicher Soundscapes nachahmten.

Heute ist unser Lärm ohrenbetäubend geworden. Er dringt in jede Ecke des Planeten vor, während die Klänge der Natur verhallen. Sie zu erhalten, sollte beim Naturschutz stärker berücksichtigt werden, sagen Soundscape-Ökologinnen und -Ökologen. Bislang wird Lärm in Schutzgebieten an Land und im Wasser nicht mitgedacht. Dabei wäre von allen ökologischen Problemen dieses mit am einfachsten zu lösen: Stellt man Lärm ab, ist er Vergangenheit, von jetzt auf gleich. Anders als Plastikpartikel, andere Gifte oder Treibhausgase verbleibt er nicht auf lange Zeit in der Umwelt.

Wunderbar beobachten konnte man das während der Corona-Pandemie. Als der Verkehr abebbte, mussten Vögel nicht mehr gegen ihn anzwitschern. Sie tschilpten plötzlich sanfter, ihr Stimmumfang vergrößerte sich, und obwohl sie leiser sangen, verdoppelte sich ihre Reichweite. Das erhöhte nicht nur ihren Erfolg beim Markieren des Reviers, sondern auch ihre Chancen, einen Partner zu finden.