Die Sonne scheint für alle

Die Energiewende, ein Elitenprojekt? Obwohl Klimaschutz am Ende allen nützt: Von vielen Förderungen profitieren besonders diejenigen, die ohnehin schon gut gestellt sind. In Hamburg zeigen Sonnenstrom-Initiativen, wie die Energiewende inklusiver und gerechter wird

Volker Henkel, Malte Graefe und Susanne Otto von Solisolar vor einem PV-Modul
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Markus Wanzeck
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Philipp Meuser
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Ein Novembernachmittag, ein Eigenheimviertel in Hamburg-Lokstedt. Draußen schluckt Nieselregen das Tageslicht, drinnen, in Volker Henkels Garage, kreischt die Kreissäge. „Malte, kannst du mal kommen und halten?“, ruft er. Malte Graefe, so heißt er mit vollem Namen, kann. Zusammen mit Susanne Otto hält er Aluschienen fest, die Henkel auf exakt 1,24 Meter Länge zuschneidet. Zehn Stück. Aufhängevorrichtungen für Balkonkraftwerke. Zu dritt bereiten sie alles vor. Denn heute ist wieder einer dieser Tage, an dem sie der Energiewende einen kleinen Schubs geben.

Die Garage ist Lager und Verteilstelle von Solisolar, einem Verein, der möglichst viele Fotovoltaikanlagen an Hamburger Balkone bekommen möchte – indem er kostengünstige Sammelbestellungen organisiert, Interessierte berät, Onlineschulungen gibt, beim Papierkram hilft. Und solidarische Selbstbau-Gemeinschaften schmiedet.

Um 17 Uhr wird eine dieser frisch geschmiedeten Gemeinschaften zusammenkommen und ihre Balkonkraftwerke in Empfang nehmen – Solarmodule, Aufhängung, Wechselrichter, Verkabelung. Auf einer Werkbank: Neun Plastikkisten mit Material, für jedes kleine Kraftwerk eine. Darauf Abholzettel mit den Namen der Balkonisten. So nennen sie bei Solisolar die Leute, die auf ihren Balkonen Sonnenstrom ernten. Nils, Madeleine, Peter, Werner, Claudia, Thorsten, Jozef, Marco, Frederick: Bei Solisolar ist man per Du.

Zehn vor fünf, Henkel öffnet das Garagentor. Aus der Dämmerung blinzeln ihm schon die ersten Balkonisten entgegen.

Mach die Energiewende zu deinem Projekt! Bei Solisolar helfen die Balkonisten sich gegenseitig beim Abholen und Installieren von PV-Anlagen

Frederick holt gleich fünf Kisten ab. Eine für sich, vier für seine Nachbarn. Und das Modul von Madeleine wird schon das neunte an ihrem Mehrfamilienhaus in Eimsbüttel. Das erste wurde im Frühjahr installiert, weitere Nachbarn folgten, nun Madeleine. „Das ist das Tolle“, sagt Henkel. „Die Idee verbreitet sich wie ein Virus.“

Schrumpfkur für die Stromrechnung

Mit Balkonkraftwerken – kleinen PV-Anlagen, für den Eigenverbrauch an die heimische Steckdose angeschlossen – kann inzwischen jede und jeder die Energiewende selbst voranbringen. Seit Herbst 2024 ist das in Deutschland auch für alle, die zur Miete wohnen, ohne viel Aufwand möglich. Zwar ist die Zustimmung des Vermieters nötig, er darf diese aber ohne triftigen Grund nicht verweigern.

So ein Balkonkraftwerk ist nicht nur prima fürs Klima. Es ist auch eine Schrumpfkur für die Stromrechnung. Solisolar stellt dazu folgende Beispielrechnung auf: Ein günstiges Balkonkraftwerk, 230 Euro Anschaffungspreis, selbst installiert, liefert 250 Kilowattstunden Strom im Jahr. Macht bei 36 Cent je Kilowattstunde eine Ersparnis von 90 Euro. Die Solaranlage bezahlt sich damit schon im dritten Jahr selbst.

Rund 1,2 Millionen solcher Geldspargeräte hängen landauf, landab bereits an den Balkonen. Dass es nicht noch viel mehr sind, liegt teils an Unwissen. Teils am Respekt vor der Technik. Teils an den Handwerkerkosten; sie können höher ausfallen als der Anschaffungspreis. Bürgerinitiativen wie Solisolar, die es inzwischen in vielen deutschen Städten gibt (siehe Seite 36), gelingt es, drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie sorgen dafür, dass Menschen von den Vorteilen selbsterzeugten Solarstroms erfahren, die Scheu vor der Technik verlieren und das Geldspargerät am Ende selbst, ohne teure Fachbetriebe, installieren.

Damit tun sie auch etwas fürs gesellschaftliche Klima. Denn eine Energiewende, bei der möglichst viele Menschen mitgenommen werden und an den Gewinnen teilhaben, die sie langfristig abwirft, läuft weniger Gefahr, aus der Kurve zu fliegen.

Zwar profitieren alle von klimafreundlichem Sonnenstrom, auch finanziell. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Enervis wäre der Strom-Börsenpreis in Deutschland 2024 ohne Solarenergie durchschnittlich 15 Prozent höher gewesen. Private Verbraucher, Gewerbe und Industrie sparten so der Studie zufolge rund 6,1 Milliarden Euro. Andererseits: Förderungen und Steuervorteile kommen oft besonders jenen zugute, die ohnehin schon gut situiert sind. Verbilligte Wärmepumpe? Einspeisevergütung für Solarstrom vom Dach? Beides attraktiv für Eigenheimbesitzer. Umweltbonus fürs E-Auto? Auch den vergünstigten Pkw muss man sich erst mal leisten können. Wer wenig hat, hat weniger von der Wende.

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Halber Einkaufspreis? Auch mal okay

Solisolar ist es wichtig, alle an Bord zu holen. Auch die, die nicht drei Jahre warten können, bis die Investition in ein Balkonkraftwerk sich bezahlt gemacht hat. Bei dem Übergabetermin im November verlässt eines der Balkonkraftwerke die Garage für die Hälfte des Einkaufspreises. „Das ist auch mal okay“, sagt Volker Henkel.

„Wir nennen den Leuten unseren Einkaufspreis“, erklärt Susanne Otto. „Und dann fragen wir sie, was sie bezahlen möchten.“ Die meisten legen ein bisschen was drauf, „im Sinne einer Solidarökonomie“, so Henkel. Unterm Strich bleibt bei den Sammelbestellungen oft ein Überschuss. Der wird direkt reinvestiert: in Balkonkraftwerke, die der Verein bei Infoveranstaltungen und Stadtteilfesten verlost.

Seit Solisolar im Frühjahr 2022 gegründet wurde, haben Henkel und seine Mitstreiterinnen schon mehr als achtzig Sammelbestellungen organisiert und auf diese Weise um die 1500 Solarmodule an die Balkone gebracht. Auf rund 250.000 Euro beziffert Henkel den Jahresumsatz. Geld, das an den Vereinsmitgliedern vorbeifließt: Manche arbeiten ein oder zwei Tage die Woche für den Verein, phasenweise mehr – alles ehrenamtlich. Was treibt sie an?

Volker Henkel, 69, der in seinem Arbeitsleben lange Geschäftsführer einer Elektronikfirma war, sagt, er sei schon immer Fan von Open Source gewesen – Software also, die allen gehört und an der alle mitarbeiten können. Nachdem ihn Vorbereitung, Antragstellung und Aufbau seiner Dach-PV-Anlage drei Monate gekostet hatten, habe er dieses Know-how mit anderen teilen wollen.

Susanne Otto, 60, war Unternehmensberaterin, verdiente so gut, dass sie in Vorruhestand gehen konnte und sagt, sie freue sich, „dass ich meine Zeit nun für gemeinwohlorientierte Sachen verwenden kann“.

Volker Henkel und Malte Graefe

Malte Graefe, Betriebsingenieur bei einer Firma für große Freiflächen-Solarkraftwerke, ist mit seinen 31 Jahren vom Vorruhestand noch etwas entfernt. Aber: Sein Freitag ist frei – Vier-Tage-Woche. „Im Beruf sitze ich zu 99 Prozent am Schreibtisch“, sagt er. „Als ich im Netz auf Solisolar gestoßen bin, fand ich das gleich total cool: Hier kann man Hand anlegen. Und bei der Energiewende von unten mithelfen.“ Er schrieb eine Mail an den Verein, die Antwort kam prompt: Mitmachen? Sehr gern! Die Materialausgabe in der Garage ist sein zweiter Einsatz. Sein erster war die Installation von Solarmodulen auf dem Carport eines Rentnerehepaars. „Der Lohn waren Kaffee und Kuchen. Und strahlende Gesichter.“ Er strahlt nun selbst. „Das ist genau das, was ich gesucht hab.“

Haushalten mit geringem Einkommen bringt Solarstrom eine entscheidende Entlastung


Auch für Balkonist Frederick – der, der fünf Solarmodule für sich und seine Nachbarschaft abholt – sei „das Solidarische, das Gemeinsame“ das, was ihn in die Solisolar-Garage geführt habe, sagt er. „Das find ich super sympathisch. Ich zahle gern ein paar Euro mehr, damit andere sich das auch leisten können.“

Es ist schon sein zweiter Anlauf mit dem Balkonkraftwerk. Den ersten, vor zwei Jahren, hatte sein Vermieter ausgebremst. Seitdem hat sich die Gesetzeslage geändert, das Ausbremsen wurde erschwert – aber das spielte nun gar keine Rolle mehr, erzählt Frederick: „Der Vermieter hat inzwischen gute Erfahrungen mit Balkonkraftwerken an einem anderen Haus gemacht.“ Diesmal gab’s gleich grünes Licht.

Hakt es mal, versucht Solisolar zu helfen. Wie bei Somayeh, die schon lange Balkonistin werden möchte. Doch ihre Vermieterin, die städtische Wohnungsgesellschaft Saga, verlangt die Umrüstung und Prüfung der Elektroinstallation durch einen Fachbetrieb – was den Preis in unwirtschaftliche Höhen treiben würde. Alle Umstimmungsversuche von Solisolar (und Mieterverein) waren bisher vergeblich.

Besser lief es bei Sonja, die in einem Sechs-Parteien-Mietshaus am Stadtrand von Hamburg wohnt. Der Vermieter blockte ab. Sicherheitsbedenken. Also griff Susanne Otto zum Telefon, die für Solisolar regelmäßig das Onlineseminar „In 11 Schritten zum eigenen Sonnenstrom-Kraftwerk“ gibt. Und erklärte dem Vermieter, wie so ein Balkonkraftwerk funktioniert. Schritt für Schritt. „Im Sommer hab ich meinen ersten Kaffee getrunken, der mit Solarstrom gekocht war“, sagt Sonja. „Das hat sich total gut angefühlt.“

Mehr als ein gutes Kaffeegefühl, nämlich eine entscheidende finanzielle Entlastung, bringt Sonnenstrom für einkommensschwache Haushalte. Im Oktober hat die Caritas deshalb mithilfe der Hamburger Umweltbehörde eine Balkonkraftwerk-Initiative gestartet: Wer beispielsweise Bürgergeld oder Bafög erhält, bekommt eine kostenlose Beratung – und bis zu neunzig Prozent der Anschaffungskosten, maximal
500 Euro. Zwei Jahre läuft das Programm. Bis zu tausend Geräte werden gesponsert.

„Bei Haushalten mit geringem Einkommen fällt kostenlose Sonnenenergie wirklich ins Gewicht“, so Caritas-Projektleiter Christoph Dreger. „Gerade auch bei Bürgergeld- oder Sozialhilfeempfängern, die mit ihrem Regelsatz die Stromrechnung bezahlen müssen.“

Solisolar ist Kooperationspartner der Caritas, hat deren Team geschult, steht dem Projekt beratend zur Seite. Auch das Honorar hierfür wurde direkt reinvestiert: Bei hundert Solaranlagen des Caritas-Programms übernimmt Solisolar die verbleibenden zehn Prozent des Kaufpreises – und macht sie so zu „Null-Euro-Balkonkraftwerken“. Hundert kleine Schritte zu einer gerechteren Energiewende.

Fünfzig Dachkraftwerke

Eine Akteurin, die diese schon seit Jahren mit entschlossenen Schritten vorantreibt, ist die Genossenschaft Energienetz Hamburg. Ursprünglich wurde sie gegründet, um den Rückkauf des städtischen Stromnetzes vom Energiekonzern Vattenfall anzustoßen. Nach einem erfolgreichen Volksentscheid 2013, der die Stadt zur Rekommunalisierung der Netze bewegte, erfand sich Energienetz Hamburg neu: als Bürgerenergie-Genossenschaft, die PV-Mieterstromprojekte plant, finanziert und betreibt.

Vor zehn Jahren startete das erste Projekt, auf dem Dach des Handwerkerhofs Ottensen, ein vierstöckiges selbstverwaltetes Gewerbezentrum mit bezahlbaren Mieten. Seitdem liefern Solarmodule 29 Kilowatt in der Spitze, an Sonnentagen reicht das für zwei Drittel des Strombedarfs. Den Rest, Ökostrom natürlich, kauft die Genossenschaft zu und schnürt daraus ein Gesamtpaket. Sie wird zum Stromanbieter. Die 16 Mietparteien des Handwerkerhofs bekommen den Strom dadurch konkurrenzlos günstig. „Um die fünfzig PV-Anlagen haben wir inzwischen hamburgweit gebaut“, sagt Matthias Ederhof, Vorstand der Genossenschaft. „Alle zusammen kommen auf eine Spitzenleistung von zwei Megawatt.“

Jedes einzelne dieser Mieterstromprojekte ist rentabel. 2,1 Prozent Überschussbeteiligung hätten sich die rund 400 Genossenschaftsmitglieder auf der letzten Generalversammlung ausschütten lassen können. Sie entschieden sich dagegen. So blieb mehr Geld für PV-Projekte. „Unsere Mitglieder schauen nicht auf den letzten Euro für sich selbst“, sagt Ederhof.

Dasselbe ließe sich über ihn und seine Vorstandskollegin Carola Ensslen sagen. Beide arbeiten ehrenamtlich für die Genossenschaft. Zwar gibt es mehrere Festangestellte, die sich um Planung, Betrieb und Instandhaltung der Projekte kümmern, aber es bleibt genug zu tun. „Mieterstrom ist komplex – allein die ganze Vertragsverwaltung und Abrechnung“, sagt Ederhof. Auf 15 Stunden die Woche schätzt er seinen Zeitaufwand. „Aber das macht Freude, weil alles wächst und gedeiht. Und es ist wichtig, im Leben sinnstiftende Dinge zu tun.“ Seinen Sinn erwirtschaftet er mit der Genossenschaft. Sein Einkommen als Geschäftsführer einer EDV-Firma.

Vorstandskollegin Carola Ensslen verdient ihr Geld als Rechtsanwältin und sitzt für Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft. Eines ihrer Kernthemen dort ist Flucht und Migration, deshalb ist ihr ein Aspekt des genossenschaftlichen Mieterstroms besonders wichtig: „Er ist ein Drittel günstiger als der Grundversorgertarif. Familien mit Sprachhürden, die sich nicht um einen Anbieterwechsel kümmern können, profitieren davon besonders stark.“ Sie sparen, ganz automatisch, mehrere hundert Euro im Jahr.

Matthias Ederhof und Carola Ensslen planen große Dach-PV-Anlagen

Ein ähnlicher Automatismus kommt Mieterinnen und Mietern in Hamburg-Ohlsdorf zugute – weil ihrem Vermieter der Geduldsfaden gerissen ist. Christian Warsch ist Miteigentümer und
Verwalter von 114 Wohnungen, verteilt auf sechs Gebäude. Und Fan von Solisolar. Er findet: „Ein Solarmodul sollte heute so selbstverständlich zum Haushalt gehören wie Spüle und Herd.“ Also warb er unter seinen Mietparteien dafür. Einige Monate später: ein Blick an die Balkone. An gerade mal zweien hingen Module.

Ein Vermieter-Mieter-Bund

Warsch wurde unruhig. „Wir müssen die Energiewende hinkriegen“, sagt er. „Und zwar schnell.“ Dann eben Mieterstrom, dachte er. So wie bei Energienetz Hamburg. Der gelernte Schiffbauingenieur machte eigens eine Schulung: „Wie funktioniert Mieterstrom?“ Technik, Betriebswirtschaft, das ganze Programm. Am Ende wusste er: „Das will ich nicht.“ Viel zu kompliziert. „Und dann hab ich mir was anderes überlegt.“

Warsch, 71, lächelt zufrieden, als er auf das Ergebnis dieser Überlegungen blickt. Er steht auf dem Flachdach eines seiner Mehrfamilienhäuser, auf Höhe der herbstbunten Baumkronen, und blickt auf 32 „solidarische Balkonkraftwerke“. Für jede Mietpartei eines.

Seit Herbst 2024 ist das Gebäude von Dach bis Keller auf Sonnenenergie eingestellt. Zu jeder Wohnung gehören neben einer Spüle und einem Herd auch vier Solarmodule auf dem Dach, zwei nach Osten, zwei nach Westen ausgerichtet, und ein Batteriespeicher für überschüssigen Sonnenstrom im Souterrain.

Um nicht, wie bei klassischem Mieterstrom, zum Stromanbieter zu werden mit all dem Papierkram, der damit einhergeht, hat Warsch sich mit seinen Mietparteien auf einen Deal geeinigt: Er baut alles und trägt die Kosten. Die Haushalte beteiligen sich daran mit einer Art „PV-Pacht“, 17,5 Cent pro Kilowattstunde Dach-Solarstrom. Warsch ist also nur Gerätevermieter. „Die Bürokratie weglassen – dann macht’s Spaß!“, sagt er.

Überzeugter Mieter Daniel Wolf sah die Solarpläne des Vermieters erst skeptisch, nun freut er sich über seinen Stromspeicher im Keller – neben denen der Nachbarn

Der pragmatische Pakt bedeutet eine Vereinfachung, bei der alle gewinnen. Aus Mietersicht sind 17,5 Cent rund fünfzig Prozent Ersparnis im Vergleich zu Strom aus dem Netz. Aus Vermietersicht rund fünfzig Prozent Aufschlag im Vergleich zur Direkteinspeisung ins Netz. Geplant und installiert hat Warsch die balkonlosen Balkonkraftwerke zusammen mit Fotovoltaik-Pionier Holger Laudeley, der bereits 2001 sein erstes Balkonkraftwerk ertüftelt hat. Die beiden sprechen stolz vom „Hamburger Modell“. Und hoffen, dass es Schule macht.

Nach 13 bis 15 Jahren, schätzt Christian Warsch, wird sich die Investition für ihn bezahlt machen. Teil dieser Kalkulation sind zwei große Solarkraftwerke mit je 24 Kilowatt Spitzenleistung, die er neben den 32 kleinen aufs Dach gepackt hat. Sie dienen der Direkteinspeisung ins Netz – und decken nebenbei auch den Allgemeinstrom des Gebäudes. Diesen Kostenposten erlässt er den Mietparteien. Macht noch mal rund dreißig Euro Ersparnis pro Wohnung und Jahr.

Um sich einen Überblick zu verschaffen, was die Sonne über Ohlsdorf für sein Mietshaus leistet, hat Warsch den Stromfluss der ersten drei Quartale 2025 mit denen von 2023 verglichen, dem letzten Jahr komplett ohne solidarische Balkonkraftwerke. Von Anfang Januar bis Ende September 2023 haben die Wohnungen noch 41.385 Kilowattstunden aus dem öffentlichen Netz bezogen. Im selben Zeitraum 2025 waren es 16.916 Kilowattstunden. Ein Rückgang um sechzig Prozent. Zur Einsparung durch Sonnenstrom kommt die Einsparung durch weniger Stromverbrauch, erklärt Daniel Wolf, einer der Mieter: „Ich bin viel aufmerksamer geworden, welches Gerät wie viel Strom verbraucht, und gehe entsprechend bewusster damit um.“

Der Sonnenkönig von Ohlsdorf Vermieter Christian Warsch ließ für jede seiner Mietparteien ein „solidarisches Balkonkraftwerk“ installieren – nicht auf die Balkone, aufs Dach

Dabei sah Wolf die Solarstrompläne seines Vermieters anfangs noch skeptisch. Als Warsch der Hausgemeinschaft das Projekt vorstellte, löcherte er ihn mit kritischen Fragen: Ist das eine Aufwertung des Hauses? Welche Mieterhöhung geht damit einher? „Vermietern gegenüber hat man natürlich solche Vorbehalte“, sagt Wolf. „Aber was ich hörte, hat mich überzeugt. Dann war alles gut.“ Auch Mieterin Katharina Hausschild lobt Warschs Initiative: „Er hat uns von Anfang an einbezogen, gefragt, was wir von seinen Plänen halten, auf welche Weise wir gerne mitmachen würden.“

Nicht nur die Mieterinnen und Mieter, auch den Mieterverein und die Verbraucherzentrale hat Christian Warsch bei den solidarischen Balkonkraftwerken konsultiert. Alles sollte fair sein für alle. „Der Grundgedanke ist, das gemeinsam zu machen“, sagt er. „Auch die Mieter sollen etwas vom günstigen Sonnenstrom haben. Schließlich sind sie der Schlüssel für eine erfolgreiche Energiewende.“

Die Recherche für diesen Artikel wurde gefördert durch ein Stipendium des Journalismfund Europe.

Sonnenstromernte in Deutschland
Mehr als 5,6 Millionen Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von rund 114 Gigawatt sind inzwischen in Deutschland in Betrieb (Stand: Oktober 2025). Etwa 1,2 Millionen davon sind Balkonkraftwerke, auch Steckersolargeräte genannt. Ihre Gesamtleistung liegt bei rund 1,2 Gigawatt. Sie spielen also neben Dach-PV-Anlagen und Solarparks bislang eine vergleichsweise kleine Rolle für die Energiewende. Für den einzelnen Haushalt können sie die Stromrechnung aber deutlich senken.

Sonnenstromernte auf dem Balkon
Balkonkraftwerke dürfen eine maximale Modulleistung von 2000 Watt haben. Durch einen Wechselrichter, der den Sonnenstrom über eine normale Steckdose ins Hausnetz einspeist, wird die Einspeiseleistung auf 800 Watt begrenzt. Innerhalb eines Monats nach der Installation muss das Balkonkraftwerk beim Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur angemeldet werden. Wichtig: Nur Geräte ohne Batteriespeicher, deren Strom direkt verbraucht (oder ins Stromnetz eingespeist) wird, gelten rechtlich als Balkonkraftwerke. Systeme mit Batteriespeicher dagegen müssen derzeit noch von einer Elektrofachkraft installiert und beim Netzbetreiber angemeldet werden.

Finanzielle Förderung
Balkonkraftwerke sind von der Mehrwertsteuer befreit. Viele Städte, Regionen und Bundesländer fördern zudem ihre Anschaffung, meist in der Größenordnung von 100 Euro bis 500 Euro.

Energierücklaufzeit
Sie misst, wie lange eine Fotovoltaikanlage benötigt, um die Menge an Energie zu erzeugen, die für Ihre Produktion benötigt wurde. Ab diesem Zeitpunkt fällt die Klimabilanz der Anlage positiv aus. In Deutschland liegt dieser Wert im Schnitt bei etwa 1,3 Jahren. Im sonnenreicheren Indien sogar bei weniger als einem halben Jahr.

Energiewende in Eigenregie
Gemeinsam Sonnenstrom von Dächern und Balkonen ernten: Dabei hilft die Website selbstbau.solar unter anderem mit einem kostenlosen
Handbuch und einer Übersicht zu deutschlandweit rund zwei Dutzend Selbstbau-Solargruppen, von Aachen bis Leipzig, von Lörrach bis Kiel.

Solisolar
Der Verein, der mit vollem Namen Lokale Energiewende Solisolar Hamburg e.V. heißt, ist eine gute Anlaufstelle für Balkonkraftwerk-Interessierte in und um Hamburg.

Solidarische Balkonkraftwerke („Hamburger Modell“)
Um möglichst vielen seiner Mietparteien Solarstrom bieten zu können, ohne selbst zum Stromanbieter zu werden, hat der Vermieter und Ingenieur Christian Warsch zusammen mit Fotovoltaikpionier Holger Laudeley ein Pachtmodell entwickelt, das auf die solidarische Kooperation von Mietern und Vermietern setzt. wdm-services.de/projekt-1082