Herr Lenton, kürzlich haben Sie eine internationale Konferenz zu Kipppunkten organisiert. Angesichts der aktuellen Weltlage war die Stimmung da vermutlich getrübt?
Nun, die Klimaerwärmung schreitet voran. Wir werden die 1,5-Grad-Grenze reißen. Dazu kommen die Verrücktheiten von Leuten wie Donald Trump, die Versuche der fossilen Profiteure, Klimaschutz und Energiewende mit allen Mitteln abzuwürgen, auch mit krudesten Fake News – teils mit Erfolg. Aber wir haben versucht, im Blick zu behalten, was alles Anlass zur Hoffnung gibt.
Die technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kipppunkte, über die Sie in Ihrem neuen Buch „Positive Tipping Points“ schreiben?
Ja, es gibt viele ermutigende Beispiele. In der Geschichte, aber auch in der Gegenwart. Manchmal reicht schon eine kleine Minderheit, damit etwas in eine positive Richtung kippt – und die Mehrheit mitzieht. Dann kann es plötzlich ganz schnell gehen.
Bei den Erneuerbaren ist aus Ihrer Sicht ein solcher Kipppunkt bereits erreicht.
In den meisten Ländern ist Solarenergie schon heute die billigste Stromquelle. Und die Technologie wird immer günstiger und besser, je verbreiteter sie ist. Das ist eine riesige wirtschaftliche Chance für drei Viertel der Weltbevölkerung – alle jene Länder, die bisher fossile Brennstoffe importieren. Und das sehen diese Menschen auch. Die Mehrheit der Menschheit ist nicht dumm. Insofern ist es gar nicht so verwunderlich, dass Profiteure aus der fossilen Ecke mit allen Mitteln zurückschlagen. Sie merken gerade, dass ihr Geschäftsmodell wirklich bedroht ist.
Was kann die Politik tun, um positive Kipppunkte herbeizuführen, ohne existenzielle Ängste und Wutausbrüche zu schüren?
Zunächst müssen alle in der Politik sich bewusst werden, dass wir angesichts des rasanten Klimawandels nun auch einen rasanten Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft brauchen. Aber der ist wie gesagt möglich. Wenn die Politik sich zwei Dinge klarmacht: Wer könnte durch den Wandel verlieren? Soziale Härten gilt es abzufedern. Und: Welche Folgen hat der Wandel für das Gemeinwohl? Die Energiewende hat so viele Vorteile – sie ist günstiger, sicherer, sauberer!
Was kann ich als Einzelner oder Einzelne bewirken?
Vieles, auf vielen Ebenen. Das beginnt beim Konsum. Ob fleischfreie Ernährung oder E-Auto statt Fossil-Pkw: Jede Entscheidung trägt zu einem Wandel bei, auch indem sie dieselbe Entscheidung für andere attraktiver, einfacher und günstiger macht. Wir alle sind Teil einer solchen sich selbst verstärkenden Rückkopplung.

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