„Zu sehen, wie das alles wächst, zeigt mir, dass wir wirklich Veränderung schaffen.“
„Zoomen Sie sich mal bei Google Maps in unsere Region“, sagt Ines Kornack, als bräuchte es noch einen digitalen Beleg für das Idyll, das sich vor unseren Augen auftut. „Dann finden Sie mittendrin eine grüne Insel: Das sind wir.“ Kornack eilt aus der Geschäftsstelle ihres Vereins auf den Hof, links eine Vogelvoliere, rechts Traktoren und anderes landwirtschaftliches Gerät. Dann fährt sie durch diese grüne Insel, den Naturpark Nuthe-Nieplitz, benannt nach zwei Flüsschen in Brandenburg, eine gute halbe Zugstunde südlich vom Berliner Hauptbahnhof.
Die Geschichte dieses 625 Quadratkilometer großen Naturparks ist die Geschichte des Widerstands eines Ostdeutschen und eines Westdeutschen, Förster der eine, Biologe und Tierfotograf der andere, die sich nach dem Mauerfall Plänen für einen Golfplatz samt Hotel am Blankensee bei Trebbin entgegenstellten. Sie wollten die Gegend nicht zum zersiedelten Speckgürtel Berlins verkommen lassen, sondern die einzigartige Kulturlandschaft im „Märkischen Zweistromland“ schützen – und dort, wo die Spuren der Landwirtschaft und eines Truppenübungsplatzes der Roten Armee unübersehbar waren, der Natur wieder zu ihrem Recht verhelfen.

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Erst zielte die Gründung ihres Landschafts-Fördervereins 1991 auf den Schutz der Nuthe-Nieplitz-Niederung mit ihren (damals noch öfter) unter Wasser stehenden Wiesen und schilfumwachsenen Flachseen. Dann entwickelte sich der Verein zum Wegbereiter für den mehr als zehnmal so großen, acht Jahre später gegründeten Naturpark, in dem Schutzgebiete fast neunzig Prozent der Fläche ausmachen.
Ines Kornack steuert jene Streuobstwiese oberhalb des Blankensees an, wo alles begann – den Ort, an dem jetzt ein Golfhotel stehen könnte. Sie hat eine Lehre im Ökolandbau absolviert und Landschaftsplanung studiert, jetzt ist sie Geschäftsführerin des Landschafts-Fördervereins. Wie die meisten der 23 Festangestellten trägt sie ein T-Shirt mit zwei fliegenden Kranichen über dem Herzen, eine Spezies, die hier inzwischen allgegenwärtig ist. Das wahre, inoffizielle Wappentier und Aushängeschild des Vereins ist jedoch ein kleiner, etwa 200 Gramm leichter Vogel mit hypnotisierendem Blick: der Steinkauz.
„Hier haben wir Tatsachen geschaffen“, sagt Kornack stolz inmitten der 1100 Apfel-, Birn- und anderen Obstbäume, alle selbst gepflanzt, ebenso das umrahmende Viereck aus Sträuchern und Bäumen. Dahinter steht der Stall für die 400 vereinseigenen Schafe, die auf der Streuobstwiese und an vielen anderen Stellen die Landschaft grasend offen halten (obwohl Wölfe in der Gegend leben). Das Grundstück pachtete der Verein von der Kirche, andernorts kaufte er Land und Seen – insgesamt 3000 Hektar –, um die Flächen in seinem Sinn zu gestalten. So bauten sie beispielsweise sogenannte Sohlschwellen, um Wasser in den Feuchtwiesen zu halten und klimaschützende Moorflächen zu revitalisieren. „Wir brauchen Wasserrückhaltung ohne Ende“, sagt Kornack. „Der Grundwasserspiegel sinkt, der Boden trocknet aus, die Pflanzen verdorren, die Wälder brennen.“

Die kurze Fahrt zum nächsten Hotspot der Vereinsarbeit führt an einem Maisfeld vorbei, über das ein Sprinkler unentwegt Wasser spritzt. Es ist ein Julimittag, die Sonne brennt mit fast 38 Grad vom wolkenlosen Himmel. Am Steuer ihres Autos schüttelt Kornack den Kopf: „Verrückt, was der Landwirt hier macht. Die Hälfte des Wassers verdunstet, bevor es versickern kann. Und das hier, wo wir so unter der Trockenheit leiden. Und auch noch für Energiemais!“
Zu Beginn sei das Verhältnis zu den Bauern teils angespannt gewesen, so Kornack, doch inzwischen klappe die Zusammenarbeit immer besser. Etwa dreißig Landwirtinnen und Landwirte sind in die Arbeit des Vereins eingebunden, indem sie, gegen Geld, nur zu bestimmten Zeiten mähen oder ihre Flächen schonend bewirtschaften, um gefährdete Lebensräume wie Binnensalzwiesen oder Kalktrockenrasen zu erhalten und zu entwickeln. „Die Offenheit der Landwirte wird größer, weil sie erkennen, dass das mit der ‚normalen‘ Landwirtschaft so auf Dauer nicht weitergehen kann“, sagt Kornack. Einer will bald Wasserbüffel anschaffen, um eine Nasswiese, die zu verbuschen droht, offen zu halten. Ein Spargelbauer – einer der kleineren – stellt Flächen für Artenschutzmaßnahmen zur Verfügung, für den Ortolan und die Feldlerche.
Brutplätze statt Mastanlagen, Bäume statt Beton
„Mehr Natur wagen“, so steht es in einer der Vereinsschriften. Dafür stellen sie Masten für Fischadlerhorste auf, pflanzen kilometerlange Hecken und „entwickeln“ den Wald klimagerecht mit neuen Baum- und Straucharten. Dafür bauen sie Refugien für die bedrohte Zauneidechse und schirmen Wiesen, auf denen sich der Kranich niederlässt, mit Baumpflanzungen gegen den Lärm der Autobahn ab. Dafür ziehen sie Zäune, hinter denen Kiebitze und andere Wiesenbrüter, deren Zahlen in den letzten Jahren dramatisch zurückgingen, geschützt ihre Jungen aufziehen können. Außerdem machen sie Bildungsarbeit mit rund 100 Veranstaltungen im Jahr. Ehemalige Enten-, Rinder- und Schweinemastanlagen rissen sie ab, den einstigen Truppenübungsplatz der Sowjetarmee verwandelten sie in ein Gehege mit Dam-, Rot- und Muffelwild.
Dort sitzt jetzt Ines Kornack im ehemaligen Kommandoturm mit Blick auf ein Rudel Damwild und erzählt, was sie tut, wenn die Arbeit sie mal frustriert: „Dann geh’ ich zu einer der Hecken, die ich geplant und deren Pflanzung zwischen Äckern ich begleitet habe – Schlehen, Hagebutten, Holunder. Zu sehen, wie das alles wächst, welche Heckenbrüter dort leben, zeigt mir, dass wir wirklich Veränderung schaffen.“
„Hier haben wir Tatsachen geschaffen.“

Einstiger Allerweltsvogel – in einer neuen Welt
Am nächsten Morgen stehen vor der Geschäftsstelle in Michendorf, Ortsteil Stücken, Günter Kehl und Peter Koch, die im Verein gern „unsere Steinkauz-Papas“ genannt werden. Koch, 66, ist Schäfermeister, Umweltschutzreferent, Vereinsvorstand und seit 32 Jahren dabei. Kehl, 76, arbeitete in der Naturschutzbehörde und ist Hobbyornithologe. Seit 15 Jahren versuchen die beiden, den Steinkauz wieder heimisch werden zu lassen – eine kleine Eule, die in den Dörfern einst fast ein Allerweltsvogel war, doch vor etwa vierzig Jahren verschwand. Dafür unterhalten sie mit Freiwilligen sechs Zuchtvolieren, für die sie jedes Jahr einige Vögel aus Tierparks und von Falknern bekommen. Aus deren Nachwuchs werden Pärchen gebildet, die in Aufzuchtvolieren brüten und dann als komplette Familie in die Freiheit entlassen werden. Manchmal nisten die Ausgewilderten dann in einem der rund 300 Holzkästen, die der Verein gezimmert hat und die in den Bäumen und an den Scheunen der Gegend hängen.
Beim ersten Check an diesem Morgen, am Unterstand auf einer Pferdekoppel, bleibt die Lage unklar: Zuletzt war der Kasten von einem Elternpaar mit vier Jungvögeln besetzt, jetzt ist er leer. Beim zweiten Kasten, ein paar Kilometer weiter, finden Koch und Kehl vier kalte Eier. Kehl mutmaßt: „Vielleicht haben die Altvögel aufgegeben, weil es zu wenig Nahrung gibt.“ Aus dem dritten Kasten in einer Eiche fliegt ein Kauz davon, als Koch die Leiter an den Baum stellt. „Ein Spezialfall“, sagt Kehl. „Wir haben die Dame vor elf Jahren beringt – für einen Steinkauz in freier Wildbahn ein stolzes Alter. Unwahrscheinlich, dass aus ihren Eiern noch etwas schlüpft.“

Es sei kein günstiges Steinkauzjahr, sagen sie. Als Ziel galt mal, 150 Brutpaare im Naturpark anzusiedeln, aber auch die dreißig, die sie jetzt zählen, könnten laut Literatur für eine stabile Population ausreichen.
Ein Grund für die geringen Zahlen könnte Nahrungsmangel sein, glaubt Kehl: „Die Dörfer sind nicht mehr die Dörfer mit Ställen und Heulagern, in denen es Mäuse gab. Und die Landwirtschaft hat sich radikal verändert, intensiviert.“ Es gibt immer weniger Heuschrecken, Käfer, Regenwürmer, kleine Vögel, von denen die Käuze auch leben. Andererseits, so Koch, haben es andere auch schon mit der Auswilderung probiert und hatten überhaupt keinen Erfolg. „Wir hatten immerhin schon Vögel, die sechs bis acht Jahre alt wurden, wir beobachten sogar Verknüpfungen mit anderen Populationen.“ Ein Kauz flog bis ins hundert Kilometer entfernte Bitterfeld, ein Kauzenpaar aus Meißen brütete hier. „Es ist ein Marathonlauf“, sagt Kehl. „Wir brauchen eben einen langen Atem, und den haben wir.“
An einer Auswilderungsvoliere steigen sie aus dem Auto. Es ist ein guter Platz für die „Steinkauz-Papas“ an diesem Tag. „Haste den Wiedehopf gehört, Peter?“, fragt Kehl seinen Co-Papa. „Bubub. Oft rufen sie drei- oder viermal, bububub, bubububub. Manchmal brüten die auch in unseren Kästen, da haben wir nichts gegen.“
Die Männer stehen in der Voliere, greifen – „Komm, Bubi!“ – nach den Jungkäuzen in den Kästen: vier propere Tiere, fast so groß wie ihre Eltern. Kehl hält die Käuze fest, während Koch mit der Zange ihr Bein beringt, zuerst den silbernen Ring von der Vogelwarte, dann den farbigen vom Verein. Eine Feldlerche ist zu hören, Kehl sagt: „Feldlerche, Wiedehopf, alles da! Was wollen wir noch mehr?“
„Sollen wir das volle Programm fahren?“, fragt Koch. „Fliegen können die ja schon.“
„Klar“, antwortet Kehl.
Die Tiere hocken wieder in ihren Kästen, die Männer stehen vor der Voliere. Koch legt eine Leiter an und öffnet oben ein Ausflugloch.
Kehl: „Der Himmel ist frei.“
Koch: „Na, dann.“