Mit Physiotherapie gegen Traumata – im Geflüchtetenlager
Wenn Fabiola Velasquez arbeitet, passiert etwas mit ihrem Gesicht: Ihre Augen fokussieren sich komplett auf das Körperteil, das sie behandelt, sie kneift ihren Mund zusammen. Die 43-jährige Physiotherapeutin behandelt seit Jahren Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos, 2018 gründete sie die NGO „Earth Medicine“.
Im Lager Moria, das vor fünf Jahren abbrannte, war sie überall bekannt. Heute kommen die Menschen im Lager Mavrovouni mit ihren Beschwerden in ihre Container-Praxis. „Die Leute hier kämpfen mit unterschiedlichsten Problemen, die ihre Mobilität einschränken. Viele sind von Flucht und Krieg traumatisiert“, sagt Velasquez. „Man muss anders denken als in einem europäischen Krankenhaus.“ Ihre Arbeit ist herausfordernder als die in einem „gewöhnlichen“ Umfeld, Sprachbarrieren etwa erschweren Behandlungen. Viele traumatisierte Menschen hätten ein Problem mit Berührungen. „Wenn ich die Sportverletzung einer Läuferin sehe, weiß ich, was ich tun muss. Wenn ich eine ähnliche Verletzung sehe, die durch Folter entstand, muss ich die Behandlung ganz anders gestalten – ich will ja niemanden retraumatisieren.“
Sie arbeitet viel mit Menschen mit körperlichen Behinderungen. In Geflüchtetenlagern gibt es viele von ihnen; Kriege und Flucht hinterlassen Menschen mit zertrümmerten oder amputierten Gliedmaßen und anderen schweren Verletzungen.
Immer wieder unterstützen Physiotherapeutinnen, Akupunkteure und Ärztinnen Velasquez für einige Zeit freiwillig, doch meistens behandelt sie allein, betreut Körperübungen, hält manchmal auch einfach eine Hand. Denn die dringend nötige psychosoziale Unterstützung fehlt im Geflüchtetenlager komplett. „Mein Ansatz ist ganzheitlich“, erklärt die gebürtige Chilenin. „Das westliche Verständnis von Medizin und Gesundheit ist sehr eng gestrickt. Man muss außerhalb dieser Grenzen denken.“
Auf Lesbos hat sie schon mehr als 500 Menschen mit teils schlimmsten Verletzungen behandelt und vielen von ihnen beim Start in ein neues Leben geholfen. Das zu wissen, sagt sie, gebe ihr mehr als ein hohes Gehalt.

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